Klimagerechtigkeit ist queer!

„Mein Name ist Freddie und mein Pronomen ist ‚mie’“. So stelle ich mich meistens vor, wenn ich Menschen kennenlerne. Sehr oft ernte ich dann verwirrte Blicke. „Was bedeutet ‚mie‘?“ werde ich oft gefragt. „Ein Pronomen benutze ich, um über eine Person zu sprechen, wenn ich nicht ihren Namen verwenden möchte. Die meisten Menschen benutzen die Pronomen ’sie‘ oder ‚er‘. Ich benutze das Pronomen ‚mie‘, weil es schön klingt und weil ich ein nichtbinäres Geschlecht habe; das bedeutet ich bin weder eine Frau noch ein Mann.“ In einer Gesellschaft, in der die meisten Menschen nicht wissen oder ‚daran glauben‘, dass es nichtbinäre Geschlechter gibt, stoße ich auf viele Probleme. Manchmal traue ich mich auch nicht, bei der Vorstellung mein Pronomen dazu zu sagen, da ich dann vom ersten Moment an als Alien abgestempelt werde. Meistens werde ich als Frau oder Mann angesprochen. Es gibt keine Geschlechterrolle für mich, keine Vorlage, wie ich mich benehmen könnte, sodass Menschen mich ansehen und sofort merken: Achja, die Person hat offensichtlich ein nichtbinäres Geschlecht. Mein Umfeld nimmt mich meistens wahr als eine etwas merkwürdig gekleidete Person mit komischen Haaren. Und mit einem binären Geschlecht (binär kommt von zwei → weiblich oder männlich).

Da ich das Bedürfnis habe, so wahrgenommen zu werden wie ich mich fühle, verändere ich gerne mein Aussehen. Zum Beispiel durch extravagante Kleidung oder Schminke. Durch meine Frisur oder Nagellack. Für mich ist das sehr wichtig und politisch. Wenn ich mich in Klimagerechtigkeitskontexten bewege, fühle ich mich jedoch unsicher damit. Oft genug wurde ich von ‚Aktivist_innen‘ darauf angesprochen, ob mein Nagellack plastikfrei und mein Makeup vegan ist. Das ist schade, denn auch mir als queere Person ist Klimagerechtigkeit sehr wichtig!

Was bedeutet ‚queer‘?

Ursprünglich war ‚queer‘ (wörtlich: abweichend, unnormal) ein Schimpfwort für Menschen, die nicht in die Gesellschaft gepasst haben, aber nach kurzer Zeit wurde das Wort vor allem für schwule Männer benutzt. Nach einiger Zeit haben dann die davon Betroffenen beschlossen, das Wort zu reclaimen, also es sich zurückzunehmen und ihm eine positive Bedeutung zu geben.

Heute wird es vor allem von Menschen aus der LGBTIA+ Community benutzt. Wofür steht LGBTIA+? Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans* und inter* Personen, Asexuelle, und viele mehr.

Warum sind Menschen queer?

Menschen können nur deshalb abweichen, weil es eine Norm gibt, also eine Art ungeschriebene Regel wie alle Menschen sein sollten. Diese Norm in Bezug auf Geschlecht und Sexualität wird oft Heteronormativität genannt. Es gibt dabei einige Annahmen, die für alle Menschen zutreffen sollen:

  • Jede Person hat ein Geschlecht: Mann oder Frau.
  • Dieses Geschlecht wird bei der Geburt festgelegt, indem auf die Genitalien geschaut wird. Eine Vulva bedeutet: das Baby hat ein weibliches Geschlecht, ein Penis bedeutet: das Baby hat ein männliches Geschlecht.
  • Menschen fühlen sich von dem ‚gegensätzlichen‘ Geschlecht sexuell und romantisch angezogen.

Es ist vermutlich offensichtlich, warum diese Annahmen nicht auf alle Menschen zutreffen. Es gibt inter* Personen, bei denen nicht immer durch ein bloßes Ansehen der Genitalien eine Einteilung in ein Geschlecht möglich ist. Es gibt trans* Personen, die ein anderes Geschlecht haben, als ihnen bei Geburt zugewiesen wurde. Manche haben auch kein oder mehrere Geschlechter. Es gibt Menschen mit nichtbinären Geschlechtern, die weder Frauen noch Männer sind. Es gibt Menschen, die keine romantische und/oder keine sexuelle Anziehung verspüren.

Gewalt gegen queere Menschen

In Bezug auf Geschlecht und Sexualität wird im Moment eine Menge Gewalt an allen Menschen in unserer Gesellschaft ausgeübt.

Die Zuweisung eines Geschlechts bei der Geburt ist ein solcher Gewaltakt. Das betrifft vor allem die Personen, die sich nicht mit diesem Geschlecht identifizieren. Das geht so weit, dass ca zwei Drittel von jungen trans* Personen sich selbst verletzen und bis zu 43% von trans* Personen in ihrem Leben versuchen, Selbstmord zu begehen. Laut einer anderen Statistik begehen sogar 54% von trans Jugendlichen einen Selbstmordversuch. Auch homosexuelle und bisexuelle Jugendliche haben ein drei- bis viermal höheres Risiko, an Selbstmord zu denken, als heterosexuelle Jugendliche.

Von einer anderen Art von Gewalt sind inter* Personen betroffen. Wenn ihre Genitalien bei der Geburt nicht ‚eindeutig‘ in männlich oder weiblich eingeteilt werden können, dann werden sie oft als Babys verstümmelt.

Selbst Menschen, die sich nicht in der LGBTIA+ Community wiederfinden, haben durch dieses Geschlechtersystem nicht unbedingt Vorteile. Geschlechterrollen sind wie Schubladen, die uns an allen Seiten beengen und verhindern, dass wir uns frei entfalten können. Ich bin mir sicher, dass es allen Menschen besser gehen könnte, wenn es diese Normen bezüglich Geschlecht und Sexualität nicht gäbe.

Was hat das mit Klimagerechtigkeit zu tun?

Queere Menschen sind besonders stark vom Klimawandel betroffen. Das liegt daran, dass sie fast überall auf der Welt aus der Gesellschaft ausgestoßen werden. Oft werden sie von ihren eigenen Familien nicht akzeptiert. Besonders Schwarze, Indigene und People of Colour sind stark von dieser Diskriminierung betroffen. Viele leben auf der Straße oder sind von von Armut betroffen. Bei Stürmen, Überflutungen, steigenden Meereshöhen, Trockenzeiten und anderen Naturkatastrophen, die durch den Klimawandel mehr werden, sind sie dadurch oft mitunter die ersten, die darunter leiden. Das gilt für den Globalen Süden genau wie auch für den Globalen Norden.

Doch nicht nur deshalb ist es wichtig, queeren Menschen in den Klimagerechtigkeitsbewegungen zuzuhören. Dadurch, dass sie seit Jahrhunderten aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, haben sich queere Communities gebildet, die die kapitalistischen Normen der Gesellschaft ablehnen und andere Formen des Miteinander Lebens üben. Dieses Wissen ist sehr wertvoll, wenn wir versuchen wollen, eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen.

Klimagerechtigkeit queeren

In „Queer: a Graphic History“ von Meg-John Barker und Julia Scheele werden Michael Warner folgende Worte in den Mund gelegt: „We queer things when we resist ‚regimes of the normal‘: the ’normative‘ ideals of aspiring to be normal in identity, behaviour, appearance, relationships, etc.“. Was bedeutet das für Klimagerechtigkeit? Ich denke, es ist immer nötig, die darunterliegenden Werte und Normen zum Vorschein zu bringen und kritisch zu betrachten. Sei das nun in Bezug auf Geschlecht oder Sexualität, sei es in Bezug auf andere gesellschaftliche Konstrukte, die unsere Gesellschaft schon so lange strukturieren, dass wir vergessen haben, dass sie keine gottgegebenen Naturgesetze sind. Queere Menschen stellen nicht nur Normen wie Heterosexualität oder Zweigeschlechtlichkeit in Frage, sondern auch die Art und Weise, wie Arbeit verteilt wird, wie Beziehungen zu anderen Menschen aussehen können und wie wir in unseren Communities leben.

Ich möchte in der Klimagerechtigkeitsbewegung sichtbar sein, um auch andere queere Menschen zu ermutigen, laut und sichtbar zu sein. Ich möchte, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung in Deutschland und auf der ganzen Welt queerer wird. Ich wünsche mir, dass queeres Wissen in der Klimabewegung als wertvoll erachtet wird und dass wir gemeinsam lernen, eine andere Gesellschaft zu schaffen.

Quellen


Blogbeitrag von Freddie (Projekt Locals United)

 

 

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