Wieso ich Klima“gerechtigkeits“bewegung sage

Hallo. Ich bin Yuno (mensch/–) und ich positioniere mich als weiß, nicht-binär, akademisch, physiotypisch und neurodivers. Als hochgradig privilegierter, queerer Mensch mit etwas ungewöhnlicher, aber „hochfunktionaler“ Denkstruktur habe ich eigentlich die Möglichkeit, mich in nahezu allen Räumen der deutschen Klima“gerechtigkeits“bewegung zu bewegen, in nahezu alle Strukturen Zugang zu bekommen und in fast allen Gruppen irgendwie Anschluss finden zu können. Meistens ist meine unkonventionelle Art, zu denken und Dinge zu verknüpfen, irgendwie hilfreich, aber manchmal stoße ich damit auch an. Das ist in der Regel aber kein Problem für mich, weil die neurotypischeren Menschen meinen „Nutzen“ für die Strukturen häufig erkennen und darum einiges aushalten. Ich beobachte aber immer und immer wieder, wie Menschen, die nicht so „hochfunktional“ wie ich in ihrer Neurodiversität sind, Ausschluss erfahren. Es gibt ganze Orte unserer Bewegung, die in ihrer „Awareness“ für bestimmte Diskriminierungsformen so hochschwellig gegenüber Menschen mit abweichender Denkstruktur oder einfach nur niedrigerem Bildungsgrad sind, dass sie auf Kosten ihres Anti-Rassismus und Anti-Sexismus ganz massiv Ableismen und Klassismen reproduzieren. So verlieren ganze Strukturen Anschlussfähigkeit für Menschen, die nicht in der Lage sind, quasi 4 Master-Semester „Soziologie für Betroffene“ im Selbststudium aufzuarbeiten.

Ich finde es spannend, dass wir uns als Bewegung auf die Fahne schreiben, nicht nur Klima-Aktivismus, sondern Klima-Gerechtigkeits-Aktivismus zu betreiben, ohne eine wirkliche Idee zu haben, wie wir das in die Praxis umsetzen wollen. Ich beobachte, dass Intersektionalität ein Fremdwort bleibt und ich noch keine Struktur erlebt habe, welche die Spannungen konsequent aushält, die durch die unterschiedlichen Lebensrealitäten der unterschiedlichen Menschen entstehen. Wie können wir ernsthaft den Anspruch haben, relevanten politischen Diskurs zu führen, wenn wir durch die intellektuellen oder physischen Zugangsbeschränkungen ganze Lebenserfahrungsbereiche aus den Diskursen ausklammern? Ich habe immer wieder das Gefühl, dass wir uns lieber in unserer Mikro-Bubble einigeln, um uns in unseren Mikro-Meinungen selbst zu bestärken, als die Augen dafür zu öffnen, dass rassistische, sexistische, ableistische, klassistische und anderweitig diskriminierende Standpunkte, die wir ja zurecht als „problematisch“ labeln, trotzdem reale Lebens-Realitäten von ganz vielen Menschen sind und auch innerhalb unserer Bewegung aus keinem Kopf völlig verschwunden sind. Anstatt anzuerkennen, dass die Realität so ist, wie sie ist, schaffen wir uns unsere kleine Mikro-Utopie, angepasst an die Bedürfnisse derer, die halt gerade vor Ort sind, und tun so, als ob wir die Revolution im Kleinen schon geschafft hätten und sie nur noch nach draußen tragen müssten – wenn wir nur wüssten, wie wir den Anschluss finden.

Ich habe die Befürchtung, dass wir in dem Wunsch nach einer Komfort-Zone nur allzu oft den Kern des politischen Aktivismus vernachlässigen. Vielleicht muss Aktivismus unbequem sein. Vielleicht müssen wir uns mit unseren eigenen Triggerpunkten konfrontieren, um eine echte Diskursverschiebung erreichen zu können. Auf jeden Fall braucht es Safer Spaces und Rückzugsorte, aber wenn wir glauben, dass wir aus diesen heraus der Revolution wirklich näherkommen, belügen wir uns glaube ich vor allem selbst. Safer Spaces und Rückzugsorte sind zum Durchatmen. Weil die Realität des politischen Aktivismus unbequem und schmerzhaft ist. Ich hab auch keine Lust, dem siebenhundertsten Macker zu erklären, wieso das Ding mit den Pronomen wichtig ist. Ich verstehe, dass keine PoC Lust hat, immer und immer wieder einer weißen Person nach der nächsten zu erklären, wieso diese und jene Aktion rassistisch ist und ich verstehe, wieso keine Rollstuhlfahrer*in Spaß daran hat, immer wieder an die Grenzen der physischen Zugänglichkeit von Strukturen zu geraten. Aber ich glaube, dass das die einzige Art ist, wie wir überhaupt Veränderung erreichen können. Wenn nicht die Betroffenen selbst für ihre Rechte einstehen, fehlt dem politischen Kampf die Authentizität.

Das heißt nicht, dass ich meine kleine Schwester mit Down-Syndrom alleine damit lasse, sich die Teilhabe in der Gesellschaft zu erkämpfen, die ihr zusteht. Es heißt nur, dass ich es MIT ihr und nicht FÜR sie tue. Wie gesagt, Rückzug und Schutz sind wichtig, gar essentiell. Aber wenn wir uns nur in unserem Schutzraum einigeln, können wir keinen politischen Wandel erwarten. Um echten Wandel zu erwirken, müssen wir, die den Schmerz fühlen, die ihn kennen, dorthin gehen, wo es weh tut. Immer und immer wieder. Und das ist glaube ich für uns auch die einzige Chance, echte Intersektionalität innerhalb der Bewegung zu erreichen. Weil wir dann in der Lage sein werden, all die unterschiedlichen Bedürfnisse innerhalb unserer Bewegung wirklich miteinander auszuhandeln. Denn zu realisieren, dass der Standpunkt einer von Diskriminierung betroffenen Person nicht unbedingt Raum hat für andere Diskriminierungsformen, tut umso mehr weh, wenn es meine eigene Betroffenheit ist, die im Standpunkt der Gegenüber keinen Raum findet. Vorausgesetzt, wir sind in der Lage, den Schmerz der Betroffenheit auszuhalten. Kontrolliert und bewusst, in dem Rahmen, in dem wir es aushalten. Aber ganz ohne geht es glaube ich nicht.

Mit anderen Worten: Vielleicht ist es ein Zeichen von Stärke, wenn ich nicht wütend abdampfe, wenn ein blöder Macker unachtsam cis-binär-hetero-normative Kackscheiße reproduziert – auch, wenn mir das zusteht – sondern achtsam erkläre, was das Problem ist. Und wenn ich die Person nicht anpöble, dass sie sich mit ihrer diskriminierenden Sprache verpissen soll – auch, wenn mir das zusteht – sondern nachfrage, was sich dabei gedacht wurde, verstehe ich vielleicht auch, dass sie gar nicht wirklich sexistisch ist, sondern einfach nicht so schnell und weit in den Prozessen, die ich aufgrund meiner Betroffenheit schon so lange durchlaufe. Und dann lerne ich vielleicht auch mit der Zeit, eine Sprache zu finden, meine Geschlechteridentität für Menschen verständlich zu machen, die schon mit einem normalen Einkauf überfordert sind. Denn bisher fehlt mir dazu der Ansatz. Ich weiß nicht, wie ich meiner kleinen Schwester das Ding mit den Pronomen erklären soll. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass ich mich dem noch nicht oft genug ausgesetzt habe, wohl, weil mir die Support-Strukturen fehlen, die mich auffangen, wenn ich nicht mehr kann, wenn ich an meinen Grenzen angekommen bin. Denn nur, weil wir vielleicht strukturell offener für schmerzende Diskurse sein sollten, muss ich persönlich nicht alles aushalten. Meine Grenzen zu kennen und zu wahren ist ein wichtiger Teil der Offenheit, ansonsten verhärten sich die Fronten nur weiter.

Ich würde mir so wünschen, dass wir als Bewegung weniger akademisch, weniger weiß, weniger physio- und neurotypisch und weniger leistungsorientiert werden. Aktuell sehe ich aber nur den Anspruch, nicht die Ansätze. Es bleiben die „Leistungsträger*innen aus der gesellschaftlichen Mitte“, die diese Forderungen mittlerweile fast mantra-artig wiederholen. Vielleicht brauchen wir mehr Unbequemlichkeit, um wirklich in Bewegung zu kommen. Für uns und für die Gesellschaft. Ich weiß es nicht. Aber wie soll ich auch, denn so richtig betroffen bin ich ja eigentlich nicht. Darum nehmt meine Gedanken vielleicht auch einfach nicht allzu ernst.

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