Gedanken zu Ableismus und Klimagerechtigkeit

geschrieben von m. am 23/9/22, irgendwo im osten, irgendwann abends.
autistisch, trans* und umweltaktivismus

zur kleinschreibung:
ich schreibe alles klein, prinzipiell, und das hat mehrere gründe.
zum einen kann ich dadurch flüssiger schreiben – meine oft uneindeutige gedankenwolke über_setze ich so besser in text, ich kann mich besser an mein ich annähern und zeitgleich andere personen mehr dazu einladen, an mir teilzuhaben.
zweitens erschließt sich mir nicht, warum ich substantive und satzanfänge durch großschreibung besonders hervorheben sollte. die trennung von „handlung“ (verb) und „ding“ (substantiv) wird konstruiert; dieser strukturalismus schreibt machtstrukturen fort und erlaubt, essentalistisch zu kategorisieren und ergo zu diskriminieren. diesen pseudo-neutralen sprach_handlungen möchte ich
mich nicht beugen. auch wenn m_eine kleinschreibung die revolution nicht herbeiführen wird, verstehe ich sie doch als kleine und doch wichtige intervention.

ich bin autistisch. herausgefunden habe ich das vor etwa zwei jahren, als mich mich eine befreundete person bei einem meiner in regelmäßigen abständen wiederkehrenden zusammenbrüche nach einem plenum fragte, ob ich schonmal darübr nachgedacht hätte, nicht neurotypisch zu sein. ich verstand plötzlich, warum plena so schwer für mich sind, ich konnte die mobbing-erfahrungen in meiner schulzeit einordnen, ich verstand, warum ich nie begriff, was von
mir verlangt wird. all diese regeln, die nirgendwo stehen, aber auf deren nicht-befolgen allistische personen mit ausschluss reagieren, manchmal mit schlimmerem.
ich habe mein leben lang versucht, herauszufinden, was „richtig“ ist, was ich tun muss, um „unsichtbar“ zu sein. in diesem prozess habe ich mich die längste zeit selbst nicht wahrgenommen.
ich wusste nicht, wer ich bin und was ich möchte – ich war schließlich konstant damit beschäftigt herauszufinden, was andere von mir verlangen und das zu befolgen. „hör auf!“, „warum bist du so?“, „halte still!“, „krass, du weißt viel über schwarze löcher!“, „nerd!“… mehr informationen bekam ich oft nicht, nur, dass ich falsch bin. mir wurde oft gesagt, meine körpersprache sei nicht angemessen. also las ich ein buch dazu und versuchte mich zu konditionieren. mein leben war von trial and error bestimmt. viel trial, viel error. schule ist hart, wenn du nicht reinpasst und die anderen dir das deutlich zeigen… endlich schulabschluss, endlich studium. aber auch: struktur selbst finden müssen.

ich setzte mich mit der klimakatastrophe auseinander – den begriff selbst kannte ich da noch nicht.
ich setzte mich mit der gesamtscheiße auseinander und zog für mich konsequenzen für mein handeln: regeln. regeln, die nirgendwo standen, aber deren striktes befolgen für mich logisch war.
entweder eins lebt nachhaltig oder eben nicht, dachte ich. klare sache. warum einkaufen, wenn ich abends auch in die tonnen der supermärkte gucken und damit vermeiden kann, sinnlose nachfrage zu generieren? warum irgendwas in plastik kaufen, wenn am ende meereslebewesen daran verenden? ein bisschen nachhaltig geht nicht – also eben voll. für mich war (und ist) es schwer zu
verstehen, warum andere leute sich ständig so ambivalent, entgegen ihrer überzeugungen verhalten.
klar, auch alle irgendwie öko, aber dann eben doch mal hier und da eine ausnahme, mal dies kaufen, mal jenes essen. und das war gegen die für mich so offensichtlichen regeln, gegen meine grundüberlegung „entweder nachhaltig oder nicht“, gegen meine regeln, die mir halfen, mich in diesem wirrwar von gesellschaft zurechtzufinden.(1)

ich begann mich in ökokontexten politisch zu engagieren – und kam in plena immer wieder an meine grenzen. ich verstand nicht, wie so viele andere leute die logischen trugschlüsse nicht zu erkennen schienen, die für mich offen lagen. ich kommunizierte meine bedenken – und diese wurden selten gut aufgefasst, denn das formulieren mit „gewaltfreier kommunikation“ (gfk) war pflicht (hippies, sigh). eine regel, wie schön! aber… was heißt das? um gfk anwenden zu können,
muss ich wissen, wie es mir geht und ich muss wissen, wie sich andere fühlen. und da zeigt sich schon ein fundamentales problem auf: ich weiß leider nur selten wirklich, wie es mir geht und erst recht nicht, wie anderen. ich kann bei mir nur zwischen gut/schlecht/neutral/leer unterscheiden.
meistens geht es mir neutral. ich kommuniziere auf der sachebene, die anderen stehen mir nicht zu verfügung. schwer wird es dann, wenn andere konstant auf unterschiedlichen kommunikationsebenen senden und von mir erwarten, dass ich problemlos den text zwischen den zeilen erst erkennen, und dann auch noch richtig dekodieren kann. je nach tagesform geht das mal gut, mal nicht so, oft rate ich einfach und hoffe auf das beste. im plenum klappt das oft eher nicht.
es sind viele leute im raum, von denen ich die meisten höchstens ein bisschen kenne, dort knistert die kekspackung, der kühlschrank rödelt, nebenan dudelt ein bisschen musik, draußen fährt die straßenbahn vorbei, eine flasche fällt um, mein stuhl knarkst und kippelt ein bisschen, es riecht nach nassem hund und die person neben nach mir kaltem zigarettenrauch. all diese eindrücke prasseln
zeitgleich und intensiv auf mich ein – und dann soll ich noch eine solide transferleistung hinbekommen?!
[metapher:] ich laufe auf linux in einer welt für windows. meine cpu ist überlastet, weil ich neben dem windows-emulator noch 72 tabs zu wasweißichalles im – warum auch immer – internet explorer geöffnet habe. alle anderen laufen auf windows, haben eine gute rechenleistung und nutzen
firefox. aaaaah. emulator abgestürzt. [metapher ende] kommunikation auf sachebene, körpersprache auf weißnicht, stimmmelodie wird zu eintönigem aber bestimmtem, vielleicht zu lautem(?) brummen. gfk gescheitert. scheiße, schon wieder. wird mir nicht direkt gesagt, aber ich spüre die
ablehnung. ich falle in reflexionsschleifen – anaylse des fehlerprotokolls ergibt: ich bin ein schlechter mensch. irgendwas auch mit raum einnehmen, aber nicht anders zu können, nicht geoutet und für die allermeisten halt irgendein typ zu sein. wenn ich nicht adäquatTM kommuniziere, besteht also das risiko, mit dem vorwurf toxischer männlichkeit konfrontiert zu werden… dabei bin
ich kein mann und war es nie und es macht mich fertig, so wahrgenommen zu werden und —— und plötzlich vermischen sich (internalisierte) trans*misogynie, saneismus (2) und das gefühl von versagen. ich fühle mich leer, aber das schlechte leer, mein bauch krampft, meine atmung ist schwer, ich will fliehen. aber das ist gegen die regeln, wir haben ja noch zwei tops, ich — endlich zu hause krümele ich mich in mein bett und starre die raufasertapete an. sie bewegt sich leicht und das beruhigt mich etwas. ich kenne das nicht anders und das macht mich zu hause. einige monate später finde ich heraus: ich bin autistisch. sachen werden für mich klarer. ich verstehe plötzlich, dass containern mir hilft, nicht vom überangebot im supermarkt überfordert zu werden, von gepiepe, musik, farben, licht, menschen; um overloads zu vermeiden und mich selbst davor zu schützen, mich danach ins bett krümeln und die raufasertapete anstarren zu müssen. ich lerne, dass das shutdowns sind und sie aus einem overload resultieren. ich verstehe die plenumssituationen besser, der umgang damit bleibt jedoch schwer. ich erkenne, dass es gründe dafür gibt, dass ich gfk nicht kann und dass meine versuche daran oft nur scheitern können. das problem bin nicht ich, das problem ist der fehlende umgang mit unterschiedlicher wahrnehmung. und natürlich trans*feindlichkeit. surprise.

fast forward: ich bin in einer waldbesetzung und fühle mich recht wohl. ich kann stimmen, ohne seltsam angestarrt zu werden oder gesagt zu bekommen, ich solle still halten. interessierte fragen kommen trotzdem. ich bin geoutet, die hormone tun mir gut. ich kenne inzwischen meine bedürfnisse und traue mich, sie zu kommunizieren. demaskieren ist schwer, aber es wird leichter, je
öfter ich mich darin versuche. nicht nur ich und mein körper, auch die strukturen verändern sich langsam. ich bin dankbar für die autistische person, die in dieser besetzung nach einem vorfall so wichtige bildungsarbeit geleistet, und kraft und zeit aufgewendet hat, den allistischen leuten von autistischem er_leben zu erzählen und klare forderungen zu stellen. ich bemerke viel unsicherheit, aber die aktivistis wollen lernen – und ich kann versuchen, mehr ich zu sein, mehr ich zu werden.
W, wenn du das liest: danke!

1: konsumkritik ist für mich ein wichtiger weg gewesen, zu mir zu finden. dabei soll aber nicht vergessen werden: nur die wenigsten personen können diesen weg wählen. lohnarbeit, care arbeit, bereits vom unrechtssystem vorbestraft, asyl, be_hinderung, krankheit, cops, etc. individualisierungsversuche systemischer probleme sind ein typisches symptom neoliberaler kapitalistischer staaten: den co2-fußabdruck hat etwa der ölriese bp in den frühen 2000er jahren populär gemacht. guess what: ablenkungsmanöver, um selbst weiter öl und geld zu fördern, aber das schlechtegewissen dafür an die personen, die darauf strukturell angewiesen sind, weitergeben. it’s capitalism, baby!

2: saneismus, von engl. to be sane, dt. etwa vernünftig, normal, zurechnungsfähig, geistig gesund. saneismus beschreibt die machtstruktur, welche personen diskriminiert, die nicht den gesellschaftlichen neurologischen
normvorstellungen entsprechen. oft gelten diese personen als psychisch krank oder werden als be_hindert markiert.
saneistisch diskriminierte personen erleben oft psychiatriegwalt; diagnosen beinhalten oft das wort „störung“. dabei stellt sich die frage: sind wir gestört oder stören wir nur die gesellschaftliche un_ordnung?

Selbstbeschreibung:

mara lebt in einer stadt irgendwo im osten und schreibt gerade an einer
bachelorarbeit, die nichts mit dem zu tun hat, was m im studium gelernt
hat. außerdem ist m in queer_feministischen und ökopolitischen kontexten
mal mehr, mal weniger organisiert — je nachdem, was der (autistische)
burnout zulässt –, und ist im rabbit hole zu queer history und
psychiatriekritik gerade recht glücklich.

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