Bundesregierung auf dem Bremspedal – Klimapaket zu ambitionslos. Eine Einschätzung der BUNDjugend

Wir sind wütend. Am 20. September veröffentlichte das Klimakabinett das vielfach angekündigte Maßnahmenpaket zum Klimaschutzgesetz, u.a. auch mit ausgewählten Maßnahmen für den Sektor Verkehr. Diese Maßnahmen sind aus unserer Sicht unzureichend und nicht zielführend. Das sektorspezifische Ziel, die CO2-Emissionen im Verkehr bis 2030 um 40-42% im Vergleich zu 1990 zu senken, wird in dieser Form nicht erreicht werden.

Klimaschutzgesetz und Größe der Klimabewegung passen nicht zusammen

Das Maßnahmenprogramm wird all den jungen Menschen nicht gerecht, die sich seit Monaten politisch einbringen und auf die Straße gehen, ihre Stimme erheben und sagen: Wir fordern ein Umdenken, eine Mobilitätswende! Bezeichnen manche Menschen die gerade in den letzten Monaten stark auflebende klimapolitische Jugendbewegung als naiv und ohne Realitätsbezug, so spiegeln wir dies an dieser Stelle zurück: Wir denken, so manche*r Politiker*in sieht dem Klimawandel zu naiv und ohne Realitätsbezug entgegen!

Wir haben den Eindruck, dass die Bundesregierung sich dem Ausmaß der Folgen nicht bewusst ist, die durch ihre (nicht) getroffenen Entscheidungen im Jahr 2019 entstehen. Werden heute keine ambitionierten Klimaschutzmaßnahmen festgeschrieben, stehen uns schon sehr bald gewaltsame Ressourcen- und Klimakonflikte, knapper werdende Nahrungsmittel, immer mehr Extremwetterereignisse und horrende Kosten gegenüber. Menschen werden in noch viel größerer Zahl gezwungen sein, ihre Heimat zu verlassen. Während diese Prognosen den Verkehrsminister Andreas Scheuer (und die restliche Regierung) nicht zu berühren scheinen, sehen wir als junge Generation den Entwicklungen mit großer Besorgnis entgegen. 

Das Beispiel der „Nationalen Plattform Mobilität“ (NPM) zeigt: Im Vorfeld der Sitzung des Klimakabinetts herrschte kein gleichberechtigter Interessensaustausch, keine pluralistische Diskussion zwischen Wirtschafts-, Verbraucher- und Umweltverbänden. Scheuer trifft seine Entscheidungen an dem eingesetzten Gremium vorbei. Gemeinsam mit weiteren Verbänden bezog der BUND in einem offenen Brief dazu Stellung und positionierte sich zu den durch Scheuer aufgestellten Maßnahmen. Wir teilen diese Kritik und möchten weitere Problematiken am Maßnahmenprogramm aus Sicht der BUNDjugend darstellen.

Verkehrswende statt Autostadt! Foto: Niko Martin/ BUND

In vier Punkten: Was wir konkret kritisieren

  1. Scheuers Maßnahmenprogramm setzt einen zu großen Fokus auf Elektromobilität im PKW-Verkehr. So wie auf EU-Ebene Elektroautos als Nullemissionsfahrzeuge in die CO2-Grenzwertberechnung einfließen, wird im Maßnahmenpaket ebenfalls von „emissionsärmeren bzw. emissionsfreien“ Antrieben gesprochen. Doch E-Autos sind nicht emissionsfrei: Insbesondere die Herstellung der Batterien aus Lithium, Kobalt und anderen seltenen Erden erfordert hohe Energiemengen und setzt außerdem die imperiale Lebensweise der frühindustrialisierten Länder (sogenannte Industrienationen) fort: Menschen im globalen Süden werden weiterhin ausgebeutet, um unser Konsumstreben zu befriedigen. Des Weiteren ist der deutsche Strommix derzeit noch weit von 100% Erneuerbaren Energien entfernt (wodurch E-PKW nicht emissionsfrei aufgeladen werden können). Das Problem, dass dem Privat-PKW im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln unverhältnismäßig viel Fläche eingeräumt wird, wird durch ein E-Auto nicht behoben. Uns geht es nicht darum, die bestehende Zahl der Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor durch dieselbe Anzahl an Fahrzeugen mit Elektromotoren zu ersetzen. Stattdessen erfordern die Klimaziele, den Verkehr in Deutschland in absoluter Zahl zu reduzieren. Folglich geht damit eine Reduktion der absoluten Zahl der fahrenden PKW – egal welcher Antriebsart – einher.
  2. Das Maßnahmenprogramm setzt zu hohe Hoffnungen in alternative Antriebe. Das viele Geld, welches in die Forschung und Entwicklung alternativer Antriebe gesteckt werden soll, muss aus unserer Perspektive prioritär in den Ausbau von ÖPNV, Fahrradinfrastruktur und alternativen Mobilitätsideen investiert werden. Wir sind zwar nicht grundsätzlich gegen die Entwicklung neuer Antriebstechnologien, wir kritisieren jedoch die Prioritätensetzung des Verkehrsministeriums – vor allem in Bezug auf die Frage, wo diese Gelder herkommen sollen. Für uns heißt es: Erst ÖPNV und Fahrrad, dann Antriebstechnologien.
  3. Wir bezweifeln die Lenkungswirkung der vorgeschlagenen finanzpolitischen Maßnahmen. Bei einem Einstiegspreis von 10€ pro Tonne CO2, ist der Anstieg von 0,0234 €/l für Benzin und 0,0265 €/l für Diesel minimal und im Geldbeutel nicht spürbar, sodass es nicht dazu führen wird, das eigene Auto stehen zu lassen. Zusätzlich hebt die Erhöhung der Pendler*innenpauschale jedwede Mehrkosten durch einen CO2-Preis auf und finanziert sogar oft besser verdienende Vielfahrer*innen (lesenswert dazu die Bewertung des BUND zum Klimapaket). Vor allem ändert eine CO2-Bepreisung in der derzeitig diskutierten Form nichts an der Grundproblematik: Viele Menschen, die hauptsächlich Auto fahren, tun dies, weil sie keine Alternative haben: Selbst, wenn sie zum Umweltverbund (Bahn, Bus, Fahrrad und Fuß) umsteigen wollen, ist das Angebot gerade im ländlichen Raum sehr schlecht. Wir schließen eine CO2-Bepreisung nicht grundsätzlich aus: Doch sie sollte über die Energiesteuer abgewickelt werden, der Einstiegspreis muss weitaus höher ausfallen und die Steuereinnahmen müssen den Menschen über den Ausbau der ÖPNV-Infrastruktur im ländlichen Raum und in Vorstadt-Gebieten zurückgegeben werden, damit Autofahrer*innen überhaupt auf eine klimafreundliche Mobilität umsteigen können.
  4. Klimaschutzpolitik ist für uns eine Frage der Gerechtigkeit: Aus Klimagerechtigkeitsperspektive fordern wir die deutsche Regierung dazu auf, sich aus globaler Verantwortung und mit voller Energie dafür einzusetzen, Menschen auf der gesamten Welt einen Lebensraum und eine lebenswerte Zukunft zu sichern – auch mit mutigen Entscheidungen im Mobilitätsbereich. Weiterhin fordern wir eine gerechte Verteilung der Flächen für alle Verkehrsmittel und damit auch, das Paradigma des Individualverkehrs aufzubrechen. Maßnahmen, die vorwiegend gut verdienende Führungskräfte der Automobilindustrie und Vielfahrende mit hohem Einkommen bevorzugen, sind für uns nicht sozial gerecht. Somit fordern wir, das Klimaschutzgesetz in seinen Maßnahmen einkommensgerecht auszurichten. Gleichzeitig darf bei der Diskussion um eine sozial gerechte Ausgestaltung der Gesetzgebung das große Ganze nicht aus dem Blick verloren werden: Wir haben keine Zeit, Klima und Arbeitsplätze verbal gegeneinander auszuspielen! Vielmehr brauchen wir klare Ansagen!
Mit Energie & Spaß für eine Veränderung der (Mobilitäts-)Politik! Foto: Georg Wendt/BUND

Ein gutes Leben für alle! – Die Chance zur Veränderung JETZT nutzen

Es benötigt den Mut der Politik, sich bei ihren Entscheidungen von der Automobilindustrie zu lösen. Derzeit spaltet sich die Gesellschaft – auch angesichts der Klimaschutzfrage. Die AFD nutzt diese Debatte strategisch, um weitere Wähler*innenstimmen zu sammeln. Beides – die Abhängigkeit des deutschen Wirtschaftssystems von der Automobilindustrie und das Risiko des fortlaufenden Rechtsrucks – muss ernst genommen und angegangen werden, darf jedoch keine Ausrede dafür sein, einen ambitionierten Klimaschutz zu umgehen. Stattdessen braucht es eine sozial-ökologische Transformation, die Soziales und Umweltschutz miteinander verbindet und die nur mit einer zukunftsgerichteten, mutigen und menschenzentrierten Klima- und Mobilitätspolitik funktionieren kann.

Die Bundesregierung sollte das große Potenzial erkennen, das von der Dynamik der (jungen) Bevölkerung ausgeht. Menschen haben Lust, Kreativität und die Energie, Dinge zu verändern! Wir finden es schade, dass die Bundesregierung diese Dynamik nicht nutzt, sondern bremst. Denn natürlich haben wir keine Lust, wütend zu sein. Wir möchten unsere positive Energie in eine Mobilität der Zukunft stecken und gemeinsam mit Politik, Kommunen und kleinen Unternehmen Ideen entwickeln und umsetzen, wie wir zukünftig leben und unterwegs sein wollen. Wir haben Lust auf ein gutes Leben für alle – und dafür treten wir in die (Fahrrad-)Pedale!

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