Blogbeitrag von Hannes (BUNDjugend Berlin)
Die Corona-Krise ist das momentan alles überlagernde Thema. Die nächste Krise zeichnet sich jedoch bereits am Horizont ab, wenn wir unseren Klimazielen nicht gerecht werden. Krisenprävention statt -nachsorge muss fortan oberstes Gebot sein. Aus der aktuellen Situation ergeben sich auch neue Dynamiken hinsichtlich der Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen.
In Bezug auf die derzeitige Corona-Krise ist es wohl nicht zu früh, von einer Zäsur zu sprechen. Eine Zäsur allen voran für Medizin und Wirtschaft, die schon jetzt um zahlreiche Erkenntnisse reicher sind und in der weiteren Aufarbeitung der Krise ihre Lehren aus dieser ziehen werden. Eine Zäsur aber auch für unsere aller Wahrnehmung. Viel wurde in den letzten Tagen und Wochen darüber berichtet, dass die allgemeine Wertschätzung für Gesundheit, einem sicheren Einkommen und sozialen Beziehungen gestiegen sei. Auch Arbeitende in den sogenannten systemrelevanten Berufen, die in diesen Tagen sichtbarer sind als je zuvor, erfahren endlich das Maß an gesellschaftlicher Anerkennung, das sie schon immer verdient hätten. Hier wird es ab sofort darauf ankommen, dass es nicht nur bei warmen Worten und herzlichen Gesten bleibt, sondern dass sich das gestiegene Ansehen etwa auch in den Arbeitsbedingungen und der Entlohnung von Pflegekräften, Erzieher*innen, Sanitäter*innen und vielen anderen widerspiegelt.
Doch wie steht es eigentlich um die Wertschätzung unserer natürlichen Lebensgrundlagen? Auf lange Sicht gefährdet nicht etwa das Corona-Virus, sondern vielmehr das Verfehlen der Pariser Klimaziele unsere Gesundheit, unseren Wohlstand und unser generelles Wohlergehen. Ob wir als Gesellschaft diese Verzahnung rechtzeitig verstanden haben werden, wird sich erst in einigen Jahrzehnten endgültig beantworten lassen. Diesen Zusammenhang aber in die Breite unserer Gesellschaft zu tragen, darf schon jetzt als die Lebensaufgabe unserer Zeit betrachtet werden. Mit dem Auftreten von Sars-CoV-2 und all seinen Nachwirkungen ergeben sich nun jedoch neue Dynamiken – mit unterschiedlichem Effekt auf die gesellschaftliche Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen.
Ein Turbolader für privaten Konsum zur kurzfristigen Krisenbewältigung
Beginnen wir zunächst mit den Faktoren, die es erschweren werden, zu vermitteln, wie notwendig die Erfüllung der Paris-Ziele ist, und wie dringend, die Weichen jetzt dafür zu stellen.
Im Moment scheint der Fokus vieler Menschen auf der kurzfristigen Krisenbewältigung zu liegen, ihr Blick fixiert auf die akute Bedrohung, die die Corona-Krise für viele von ihnen darstellt. Klimaschutzmaßnahmen, ein Instrument der Prävention und Eindämmung künftiger Krisen, scheinen dabei vor allem im Weg zu stehen. So sprechen sich in Deutschland laut einer SPIEGEL-Umfrage immerhin 35 Prozent für die Abschwächung dieser Maßnahmen aus. Auch Politik und Wirtschaft kann zunächst unterstellt werden, erst einmal nur an einem ökonomischen Boost mit Nachholeffekten in Produktion und Konsum interessiert zu sein, sobald das Infektionsrisiko eingedämmt ist. So offenbart ein Blick auf vergangene Wirtschaftskrisen, wie durch diese die weltweiten CO2-Emissionen sanken – und danach wieder rapide anstiegen. Zumindest hat sich das Bundesumweltministerium jetzt dieser Thematik angenommen und versucht Konjunkturprogramme so auszuarbeiten, dass sie Wachstum und Klimaschutz miteinander verbinden. Es bleibt zu hoffen, dass beide Elemente den gleichen Stellenwert in diesen Konjunkturpaketen, wie auch immer sie dann im Detail aussehen werden, haben. Andernfalls müssen wir uns einmal mehr mit einem Ergebnis à la Abwrackprämie begnügen – einem Turbolader für privaten Konsum, der uns durch seinen grünen Anstrich vorgaukelt, auch dem Klimaschutz dienlich zu sein.
Wenn die Klimakrise nur noch eine Krise mehr ist
Zweitens ist zu erahnen, dass bei vielen eine gewisse Krisenmüdigkeit Einzug erhalten hat. Die eindimensionale mediale Berichterstattung dieser Tage, sowie die Auswirkungen der Kontaktbeschränkung auf die eigene Situation, münden meiner Beobachtung nach in vielen Fällen in Lethargie, vereinzelt gepaart mit Gleichgültigkeit. Katharina van Bronswijk, Sprecherin der Psychologists for Future, erklärt dazu gegenüber der DW:
„Psychologisch gesehen haben wir eine begrenzte Kapazität, uns Sorgen zu machen. Wir können uns nicht dauerhaft über alles gleichzeitig sorgen.“
Absehbar ist damit auch, dass die Krisenrhetorik, die sich in der Klimabewegung in den letzten Jahren etabliert hat, in der Breite nicht mehr den gleichen Effekt erzielen wird wie zuvor. Die Klimakrise ist dann eben nur noch eine Krise mehr und Climate Action Now das Dogma privilegierter und ökonomisch abgesicherter Weltverbesser*innen statt einer Handlungsaufforderung. Diese worst-case Außenwirkung ist ein ganz großes Problem, auf das wir schnellstmöglich Antworten finden müssen.
„Wenn das Ökosystem derart aus dem Gleichgewicht gerät, können sich Infektionskrankheiten besser verbreiten“
Eine Antwort könnte sein, künftige Krisen, die sich schon jetzt abzeichnen, genau daher mit aller Kraft verhindern zu müssen. Nachsorge können wir uns schlichtweg nicht leisten, weder finanziell noch psychologisch noch sonst irgendwie. Daher muss Prävention fortan oberstes Gebot sein!
Hilfreich dafür könnten jüngste wissenschaftliche Erkenntnisse sein, die einen Zusammenhang zwischen der Zerstörung von Ökosystemen und der Übertragung von Infektionserregern (sogenannten Zoonosen) vom Tier auf den Menschen skizzieren. Dieser Sachverhalt wird – wie ich finde – sehr anschaulich erklärt von Dr. Sandra Junglen, Leiterin der Arbeitsgruppe Ökologie neuartiger Arboviren an der Charité:
„Die Entstehung zahlreicher Krankheiten kann mit dem Vordringen des Menschen in vormals unberührte Natur erklärt werden. Intensive Landnutzung, die Verbreitung von Monokulturen oder Rodungen von Wäldern führen zu einem Verlust der Artenvielfalt und verändern die Zusammensetzung der Säugetierpopulationen. Weniger Artenvielfalt bedeutet mehr Tiere einer Art im selben Lebensraum. Wenn das Ökosystem derart aus dem Gleichgewicht gerät, können sich Infektionskrankheiten besser verbreiten. Artenvielfalt und funktionierende Ökosysteme können vor der Ausbreitung von Infektionskrankheiten schützen.“
Der Appell, der sich daraus ergeben muss, ist also die Bewahrung intakter Ökosysteme mitsamt ihrer Biodiversität. Die Botschaft: Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren schützen vor Corona und Co, wenn es schon fünf vor zwölf ist, mit Einschränkungen von Landschaftszerstörung, intensiver Bodennutzung und Monokulturen lassen wir es erst gar nicht so weit kommen! Das käme durch eine Vielzahl von Verschränkungen nicht zuletzt auch dem Klima zugute. So zeigt z.B. eine Langzeitstudie des Max-Planck-Instituts, dass stabile Ökosysteme mit einer großen pflanzlichen Biodiversität mehr Kohlenstoff speichern als andere.
Schöne neue Arbeitswelt?
Zudem besteht weiterhin die Hoffnung, dass einige „Corona-Methoden“ der Arbeitswelt die Zeit der Ausgangsbeschränkungen überdauern und auch dann von Arbeitnehmenden und –gebenden vermehrt ihren klimaschädigenden Alternativen vorgezogen werden. Kann es nicht sein, dass einige Manager*innen nach einer kurzen Eingewöhnungsphase ihren Gefallen an Telefon- und Videokonferenzen gefunden haben und sie nun als effizienter gegenüber Geschäftsreisen über den halben Globus empfinden? Kann es nicht sein, dass einige Büroangestellte im Home Office eine gute Möglichkeit gefunden haben, Berufs- und Privatleben miteinander zu verbinden, einen gesunden Ausgleich zu haben und sich nebenbei der täglichen Pendelei in überquellenden Zügen und auf überfüllten Straßen zu entledigen? Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass der veränderte Berufsalltag zurzeit mit Hürden und Belastungen flankiert ist, die der aktuellen Ausnahmesituation geschuldet sind, z.B. sehen sich junge Familien und Alleinerziehende zusätzlich zur Heimarbeit gerade mit der ganztägigen Betreuung ihrer Kinder konfrontiert. Diese Kombination kann schnell zu Überforderung führen, die aber nicht in der Natur von Home Office an sich begründet liegt. Deshalb ist es umso wichtiger, arbeitende Familien und Alleinerziehende zu entlasten und Kita- und Schulbetrieb schnellstmöglich wieder aufzunehmen. Noch gibt es keinerlei Zahlenmaterial darüber, wie viele Menschen treibhausgasärmere Arbeitsweisen während der Corona-Situation zu schätzen gelernt haben. Doch vielleicht gibt es auch hier eine neue Wahrnehmung.
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