Klimaproteste: Medien, Politik und Kartoffelbrei

Ein Kommentar von Lea Fraider, Presse- und Öffentlichkeitsabteilung, BGST.
Die Meinung der Autorin ist ihre persönliche und entspricht nicht den offiziellen Positionen des Verbands. 

Klimaproteste sind seit letzter Woche in aller Munde. Was wir uns normalerweise wünschen, wofür wir viel Zeit, Ehrenamt und Kraft investieren, kann uns in diesen Tagen nur erschüttern.

Eine Fahrradfahrerin wurde am 31. Oktober im Straßenverkehr von einem Betonmischer erfasst – sie erlag mehrere Tage später ihren Verletzungen. Am Tag des Unfalls waren Klimaaktivst*innen der Bewegung Die letzte Generation auf Schilder der Stadtautobahn A100 geklettert, um gegen die Klimapolitik der Bundesregierung zu protestieren. Der Protest war bei der Polizei angemeldet, der dadurch entstehende Stau vorhersehbar. Die Fahrradfahrerin wurde bereits notärztlich betreut, als ein Spezialfahrzeug der Feuerwehr in diesem Stau steckenblieb und sich um sechs bis neun Minuten verspätete. Es war angefordert worden, um die Verunglückte zu befreien, wurde letztlich aber weder gebraucht noch genutzt. Als Stau-Verursacher*innen wurde den Klimaaktivisti in Presse und Öffentlichkeit die Schuld am Tod der Radfahrerin gegeben, sie wurden als Mörder betitelt, als Demokratiefeinde, radikal und schamlos.
Die Feuerwehr und die verantwortliche Notärztin, die am Unfallort waren, entlasten die Klimaprotestler*innen von allen Vorwürfen: Der Stau hatte keinerlei Einfluss auf die Versorgung des Unfallopfers. Das ist bereits seit wenigen Tagen nach dem Unfall bekannt.

Dessen ungeachtet benutzen Politiker*innen und Medien den Tod der Frau, um die Klimabewegung zu diskreditieren. Der Berliner Kurier titelte in den Tagen nach dem Unfall „Irre! Klima-Aktivisten blockieren Rettungseinsatz der Berliner Feuerwehr“, der Tagesspiegel „Protest der ‚Letzten Generation‘: Wie gefährlich sind die Klimablockaden“, die SZ „Empörung über Straßenblockierer“, die BILD „Die Klima-Kleber sind auf dem Weg der RAF“, die WELT „Klimaaktivisten-Blockade verzögert Rettung von schwer verletzter Radlerin“, die ZEIT „Klimaaktivismus. So wird niemand gerettet“, … die Liste lässt sich fortsetzen. Natürlich, manche der Artikel erschienen, als noch nicht klar war, welchen Zusammenhang es zwischen Protest und Unfalltod gab. Guter Journalismus zeichnet sich allerdings normalerweise dadurch aus, dass Fakten geprüft und in vielen Fällen auch einfach abgewartet werden. Das ist hier nicht passiert. Manches wird nun im Nachgang relativiert, aber der Keks ist schon gegessen. Wie die Letzte Generation diese Berichterstattung einschätzt, kann ich nachvollziehen. Neben großer Bestürzung über den Unfall heißt es in einer Stellungnahme: „Dass ein ganzes Mediensystem sich gegen uns wenden würde, damit haben wir nicht gerechnet“.
Wie kommt es, dass Politik und Öffentlichkeit so schnell dabei waren, die Schuld den Klimaaktivst*innen zu geben? Wie kommt es, dass diese Gelegenheit so gierig ergriffen wurde, dass so schnell die „Das habe ich ja schon immer gesagt“-Rufe laut wurden? Warum ist es so wichtig, die Botschaften der Klimabewegung zu entkräften – oder besser: Wem ist es wichtig?

Schon lange wird in Politik, Boulevard- und Qualitätsmedien vor der Radikalisierung der Klimaschutzbewegung „gewarnt“. Es ist irrelevant, wie die Wirkung oder Ausführung einzelner Protestformen zu bewerten sind – vergessen werden sollte nie: Während Aktivist*innen sich selbst gefährden, auf Straßen kleben oder auf Schilder klettern, während sie Kunstwerke symbolisch mit Kartoffelbrei und Tomatensuppe bewerfen (ohne weiteren Schaden zu hinterlassen), wurde jüngst von der UN bestätigt, worauf sie mit ihren Aktionen hinweisen wollen: Die 1,5-Grad-Grenze ist nicht mehr zu schaffen. Wir steuern auf eine Realität zu, in der sich das Klima um mindestens 2,4 Grad erhöhen wird. Das ist eine entsetzliche Aussicht, die uns darauf vorbereiten muss, dass viele viele Menschen leiden und sterben werden.

Wer hierfür demokratisch verankerte Verantwortung trägt, ist völlig klar: Die Entscheider*innen des Globalen Nordens, Bundeskanzler Scholz und seine Regierung. Wer diese nicht erfüllt, ebenfalls. Statt sich dem zu stellen, vergleicht „Klimakanzler“ Scholz (SPD) derweil Menschen, die gegen eben diese Katastrophe kämpfen, pauschal mit Nazis, wirft ihnen ungerechtfertigt Gefährdung von Menschenleben vor und die fälschlicherweise dauerhafte Beschädigung von Kunstwerken. Innenministerin Faser (SPD) verlangt nach härteren Strafen für Klimaaktivsti und spricht den Protesten ihren Anspruch auf demokratische Auseinandersetzung ab. „Die Polizei hat meine vollste Unterstützung für ein hartes Durchgreifen“, schrieb Faeser über die Klimaproteste auf Twitter, nachdem die Aktivist*innen bereits entlastet worden waren. Damit ist sie auf einer Linie mit ihrer Parteikollegin Giffey, die mehr als 700 Strafverfahren gegen Klima-Aktivisten als Erfolg verbucht, „davon wurde bislang nur eines eingestellt.“ Lambsdorff (FDP) spricht auf Twitter vom „ersten Todesopfer der Letzten Generation“, eine Richtigstellung oder Entschuldigung gab es bislang nicht. Dobrindt (CSU) greift den BILD-Sprech auf und verkündet: „Die Entstehung einer Klima-RAF muss verhindert werden.“

Die Welt müsste voller Entsetzen und schockierter Gespanntheit auf die Weltklimakonferenz blicken, die deutsche Bevölkerung müsste jede Entscheidung zu Klimazielen der Ampel schweißgebadet erwarten, anfechten, um Besserung kämpfen. Es geht um nichts weniger, als das Überleben der Kinder dieser Welt. Und wir schlagen uns mit performativen Debatten herum, die so tun, als wäre eine Person, die von einem LKW überrollt wurde und daraufhin starb, nicht von einem LKW verletzt worden, sondern in Wahrheit von zwei Personen, die alle erforderlichen Vorgaben einhaltend auf einem Schild saßen, um auf die Klimakatastrophe aufmerksam zu machen. Die Klimakatastrophe übrigens, die von LKWs vorangetrieben wird und allen anderen motorisierten Verkehrsteilnehmenden, die by the way an diesem Tag ihre Pflicht als eben solche nicht eingehalten, sondern Rettungsgassen viel zu spät gebildet haben, die wiederum aber gar nicht nötig gewesen wären, weil das diese benutzende Spezialfahrzeug doch nicht gebraucht wurde, und übrigens helfen alle Rettungsgassen nicht, wenn die Klimakatastrophe nicht eingedämmt wird, weil wir dann sowieso alle sterben, also: Worüber the fuck reden wir hier eigentlich? Darüber, ob die Handvoll Kartoffelbrei aber theoretisch Schaden an einem Objekt hätte anrichten können, wenn er in einem bestimmen Winkel, mit etwas mehr Kraft und einer angetäuschten Drehung nach links geworfen worden wäre und wie können diese Radikale nur Kunst in Millionenhöhe gefährden?? Ja. Darüber reden wir. Damit niemand auf die Idee kommt darüber zu sprechen, wer hier die wirklichen Antagonisten sind. Wer von der Klimakrise profitiert, wer sie blockiert, wer sie verschuldet und wer nichts tut, um sie aufzuhalten.

Quellen und weiterführende Links:

Zwillingsschwester der in Berlin getöteten Radfahrerin: »Sie ist meine Welt gewesen, so wie ich ihre Welt war« – DER SPIEGEL

Notärztin entlastet Berliner Klimakleber – Politik – derStandard.de › Deutschland

UN-Klimasekretariat: 1,5-Grad- Ziel ist „nicht mal ansatzweise“ in Reichweite | ZEIT ONLINE

„Kein guter Einfall“, findet der Bundeskanzler: Reaktionen auf den Protest der „Letzten Generation“ in Berlin (tagesspiegel.de)

https://www.berliner-kurier.de/berlin/letzte-generation-euer-dummer-protest-schadet-sich-selbst-li.283245

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/olaf-scholz-laestert-ueber-radikale-klimaaktivisten-etwas-kreativitaet-koennte-helfen-a-cfde653d-f125-4462-ae5e-d1123a697ac3

https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/so-radikal-sind-die-klima-kleber-sie-schicken-ihre-mitglieder-ins-gefaengnis-81812968.bild.html

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