Climate Justice?! Oder: Warum es auch „White Days for Future“ statt „Fridays for Future“ heißen könnte

Wie nie zuvor ist die Klimakrise ein aktuelles und brennendes Thema in der Gesellschaft. Die ganze Welt ist sich einig, dass der fortschreitende Klimawandel dramatische Folgen für uns alle haben wird und sich die Auswirkungen schon heute in Form von Starkregen, Überschwemmungen und langen Sommerperioden in den Großstädten wie Berlin zeigen. Wenn man darüber nachdenkt, auf welchen Teilen der Welt die Menschen stärker betroffen sind und wo die Ursachen dafür liegen, stolpert man schnell über den Begriff „Climate Justice“ (Klimagerechtigkeit). Climate Justice hier, Climate Justice da.

Was bedeutet eigentlich „Climate Justice“?

„Climate Justice“ betrachtet die Klimakrise nicht nur als eine technische und ökologische Herausforderung, sondern vielmehr als ein ethisches und politisches Problem.
Viele verbinden dieses Wort mit Flucht und Migration auf globaler Ebene, dass Menschen ihr Zuhause, ihre Heimat verlassen müssen, weil die Lebensbedingungen vor Ort aufgrund der Klimawandelfolgen wie Dürre, Überschwemmungen und Naturkatastrophen nicht mehr zu ertragen sind oder weil sie aufgrund von Überschwemmungen oder Waldbränden das Zuhause verloren haben. Natürlich ist dieser globale Aspekt ganz zentral für das Thema „Climate Justice“, eher Climate Unjustice in dem Fall.

Jedoch beschränkt sich Climate Unjustice nicht nur auf die globale Ebene. Climate Unjustice (oder auch: UmweltUNgerechtigkeit) findet auch hier bei uns in den Großstädten statt und äußert sich in unterschiedlichster Art und Weise.

Back to the roots

Dass die Klimafrage auch eine Systemfrage ist, ist keine neue Erkenntnis. Schon in den 1980er Jahren in den USA beobachtete und diskutierte man sozialräumliche Benachteiligung hinsichtlich der Umweltbelastungen als Gerechtigkeitsproblem.

Die sogenannte Umweltgerechtigkeitsbewegung wurde von marginalisierten Bevölkerungsgruppen angeführt, die unverhältnismäßig stark von Umweltbelastung betroffen waren. Dabei hing in den USA, dort wo unsere heutige Klimagerechtigkeitsbewegung ihren Anfang nahm, Hautfarbe, Armut und Gesundheit so erkennbar zusammen, dass dadurch der Begriff Umweltrassismus geprägt wurde. Aus diesem Grund ist die Klimagerechtigkeitsbewegung heute ursprünglich eine Bewegung der marginalisierten Gruppen gegen die Diskriminierung und Benachteiligung hinsichtlich der Umweltbelastungen.

Warum es auch „White Days for Future“ statt „Fridays for Future“ heißen könnte

Wie kann es aber dann sein, dass besonders heute so viele weiße „Akademiker*innenkinder“ auf die Straße gehen und sich mit der Klimagerechtigkeitsbewegung identifizieren, wobei sich die ursprüngliche Bewegung in den 1980er Jahren eher an Menschen aus marginalisierten Gruppen wandte?

Natürlich ist der Klimawandel ein globales Problem und wir werden alle die Auswirkungen zu spüren bekommen bzw. spüren diese bereits jetzt, manche stärker als andere. Deswegen ist es logisch, dass viele Menschen gegen die Klimakrise aktiv werden, die nicht einer marginalisierten Gruppe angehören. Trotz allem gibt es einen speziellen Grund, warum sich besonders weiße junge Menschen mit akademischem Hintergrund, durch die Klimakrise angegriffen fühlen:

Die mittelständische weiße Gesellschaft und Jugend fühlt sich bedroht, denn die Konsequenzen, die sich aus dem Klimawandel schon jetzt abzeichnen, stellen ihre Lebensgrundlage in Frage. Anders als marginalisierte Personen, mussten sie sich nicht mit gesellschaftlichen Barrieren auseinandersetzen, mit denen ganze Gruppen und Communities noch zu kämpfen haben. Menschen in migrantischen Communities müssen sich jeden Tag mit Diskriminierung und Unterdrückung auseinandersetzen. Daher fehlt es ihnen oft an Ressourcen, sich besonders stark in die Klimabewegung einzubringen.

Zu sagen, man möchte gerne diverse Gruppen ansprechen, reicht allein nicht aus

Nicht zuletzt werden auch bei der Organisation von Veranstaltungen und Aktionen weitere Barrieren und Hürden aufgebaut, die dafür sorgen, dass Menschen unterschiedlicher Lebenssituationen an einer Vielzahl von Events nicht teilnehmen können, weil sie nicht mitbedacht werden: Nicht jede*r hat zum Beispiel die finanziellen Mittel, um schnell eine Zugfahrt zu buchen, damit man an einem Fachtag in einer anderen Stadt teilnehmen kann. Klar ist auch, dass man Muslime und Musliminnen nicht bei einer Podiumsdiskussion erwarten kann, wenn man diese am Zuckerfest stattfinden lässt. Außerdem ist es nicht verwunderlich, dass man immer nur dieselben Menschen erreicht, wenn man die Informationen nur über die eigenen Kommunikationskanäle veröffentlicht.

Scheitern tut die Zugänglichkeit einer Bewegung oft auch an der Sprache. So sind die Infos meistens auf Deutsch und geprägt durch Fachsprache, wodurch viele Menschen automatisch ausgeschlossen werden oder sich nicht angesprochen fühlen. Das ist ein weiterer Grund, warum der Großteil der Teilnehmenden bei Aktionen und Konferenzen aus der Mittelschicht kommen. Diese Menschen haben das Geld, den Wissenszugang und die Zeit und müssen nicht mit anderen Barrieren kämpfen, die für einen Großteil der Bevölkerung existieren.

Climate Unjustice bei dir um die Ecke

Schon immer musste sich ein großer Teil der Gesellschaft mit strukturellen Barrieren auseinandersetzen. Sie mussten sich schon lange vor der Klimafrage mit sozialen Themen wie Diskriminierung und Unterdrückung auseinandersetzen.

Wer Vollzeit arbeitet, nur den Mindestlohn erhält und Zuhause Kinder zu versorgen hat, wird eher selten zu Bio-Produkten greifen und hat auch nicht die Zeit, lange nach gebrauchten Kleidungsstücken zu suchen, sondern hat kaum eine andere Wahl als zu einem Mode-Discounter zu gehen. Das wirkt sich natürlich stark auf die Kinder aus. Wenn Kinder oder Jugendliche ohne Bio- und Fairtrade-Produkte aufwachsen, weil einfach die finanziellen Mittel fehlen, aber trotzdem Teil der Klimabewegung sein wollen, kann es leicht passieren, dass sie von ihren eigenen Klassenkamerad*innen und auch von Menschen aus der Umweltbewegung blöd angeschaut werden. In dieser Situation fühlen sich dann diejenigen schlecht, die sich einen nachhaltigen Lebensstil nicht leisten können, weil ihnen die Kapazitäten, die Zeit und finanziellen Mittel fehlen.

Anstatt also auf andere Menschen mit dem Finger zu zeigen und die Menschen zu beschuldigen, sie würden nicht genug für den Klimaschutz tun, sollte man darüber nachdenken, in welcher Lebenssituation sich diese Menschen befinden, dass sie sich sowas nicht leisten können und wie es dazu kommen konnte, dass sich die Gesellschaft spaltet in privilegiert und deprivilegiert.

Man sollte daran arbeiten, diese Ungerechtigkeit zu beheben. Sie ist ein wichtiger Aspekt von „Climate (Un)Justice“, der oft übersehen, wenn nicht sogar ignoriert wird, weil wir Klimagerechtigkeit meistens im globalen Kontext adressieren. Das heißt aber nicht, dass die Climate Unjustice in Deutschland sich nur gegen finanziell schwache Menschen richtet. LGTIBQ, BIPOC, Menschen mit Diskriminierungserfahrungen aufgrund von Beeinträchtigungen, Religion und anderen Merkmalen müssen mit gesellschaftlichen Machtstrukturen kämpfen, die sich durch die Klimakrise verschärfen.

Lebensstil, Lebenssituation und Arbeit werden nicht klimagerecht behandelt. Schnell erkennt man, dass ein umweltfreundlicher und nachhaltiger Lebensstil keine Einzelentscheidung sein darf, sondern grundlegend eine Systemfrage, vor allem eine Machtfrage darstellt. Solange sich daran nichts ändert, können Soziales und Klimaschutz gegeneinander ausgespielt werden.

Climate Justice für alle!

Die Klimabewegung sollte das große Potenzial erkennen, das von den Perspektiven von Menschen unterschiedlicher Lebensrealitäten ausgeht. Wir haben alle Bock drauf, die Welt positiv zu verändern und besonders gut können wir dieses Ziel erreichen, wenn wir gemeinsam kämpfen und dabei die Bedürfnisse und Erfahrungen möglichst vieler Menschen berücksichtigen und miteinbringen! Wir finden es schade, dass die Klimabewegung dieses Potenzial nicht fördert, sondern eher hemmt. Deswegen haben wir uns in der BUNDjugend kritisch hinterfragt und versuchen, das zu ändern – zum Beispiel mit dem Projekt Locals United.

Wir werden aktiv! Locals United

Die Locals United Gruppen sind ein offener Lernraum, in dem Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven und Lebensrealitäten zusammenkommen. Uns ist es wichtig, dass sich Menschen mit den jeweiligen Bedürfnissen innerhalb der Gruppe wohl fühlen können, deshalb versuchen wir zum Beispiel durch Übersetzer*innen und die Suche nach barrierearmen Räumen, die Treffen für möglichst viele Menschen zugänglich zu machen.

Wir überlegen zusammen, was wir ändern wollen, um eine gerechte und vielfältige Stadt für alle zu schaffen. Von Filmabenden, Sprach-Cafés, Demos, Konzerten, Diskussionsrunden, Flashmobs, Infoveranstaltungen bis hin zu Straßentheater, euren Ideen sind keine Grenzen gesetzt!

Ganz einfach mitmachen!

Du hast Lust etwas zu bewegen und neue Menschen kennen zu lernen? Wunderbar! Wir freuen uns über weitere Leute, die unsere Gruppe mit ihren Ideen, ihrem Wissen ihrem Tatendrang oder ihrer Neugier für das Thema bereichern. Jede*r ist willkommen!
Du möchtest dich mit dem Locals United Team vernetzen? Die Ansprechpersonen für deine Stadt und weitere Infos findest du hier.

Text: Kevin Okonkwo, Foto: Friends of the Earth International, Grafiken: Annika Huskamp

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert