Unter anderem durch den Aktivismus vieler junger Menschen in den „Fridays for Future“ Gruppen wird der Klimawandel im Moment viel mit der Zukunft in Verbindung gebracht. Doch das ist nur eine Perspektive unter vielen. Viele Menschen und Regionen sind schon länger von den Folgen des Klimawandels betroffen. Unzählige Menschen verlieren ihr Zuhause und flüchten vor Umweltkatastrophen. Wer jedoch denkt, die Folgen des Klimawandels seien nur im Globalen Süden zu spüren, liegt falsch.
Betroffenheit vom Klimawandel
Ich selbst erinnere mich nicht so gut an den Hitzesommer 2003, da ich noch sehr jung war. In Deutschland starben ca. 10.000 Menschen[1] und in ganz Europa ca. 70.000 Menschen an den Folgen der Hitze[2]. Im Jahr 2018 waren es ca. 20.000 Menschen in Deutschland[3]. Überdurchschnittlich betroffen davon sind in erster Linie alte und be_hinderte Menschen, z.B. weil sie ihre Körpertemperatur nicht besonders gut regulieren können. Doch nicht nur extreme Hitze, auch extreme Kälte kann für viele Menschen gefährlich sein. Ein Beispiel dafür sind obdachlose und wohnungslose Menschen. Diesen Winter 2020/21 sind z.B. bereits 22 Personen in Deutschland erfroren[4]. Hier gibt es auch eine Verschränkung mit Be_hinderung, denn über 70% von wohnungslosen und obdachlosen Menschen haben akute psychische Erkrankungen und über 90% hatten schon einmal eine psychische Erkrankung[5]. Über den Zusammenhang von Wohnen und Be_hinderung könnt ihr hier eine Folge vom Rampe? Reicht! Podcast hören: https://youtu.be/R6zBvGbCbrY
In Ländern des Globalen Südens, wo es öfters viel extremere Naturkatastrophen gibt als hier in Deutschland, ist die Situation noch schwieriger. Im Fall von Sturm, Erdbeben, Überschwemmungen, etc. ist es für be_hinderte Menschen schwieriger, sich in Sicherheit zu bringen oder an die Informationen heranzukommen, wie sie sich schützen können.
Barrieren im Klimaaktivismus
Die Probleme gehen über die Betroffenheit vom Klimawandel hinaus. Eine allgemeine Forderung von be_hinderten Menschen ist mehr Teilhabe. Auch im Klimaaktivismus ist das ein wichtiges Thema. Barrieren existieren überall. Manche sind leicht zu beseitigen, andere nicht ganz so leicht. Für manche reicht Sensibilität aus, für andere wird Geld benötigt.
Informationen
Informationen über die Klimakrise, aber auch über Aktionen und Veranstaltungen sind oft nur in schwerer Sprache vorhanden. Für manche Menschen ist Leichte Sprache[6] eine Voraussetzung, um Informationen zu verstehen. Leichte Sprache hat eigene Regeln und es gibt Übersetzungsbüros, die Texte in Leichte Sprache übersetzen und zertifizieren. Doch nicht nur Leichte Sprache ist notwendig, sondern bei gedruckten Texten wäre zum Beispiel auch eine Version in Braille- Schrift nicht schlecht. Oft werden Informationen aber auch in bestimmten Gruppen weitergegeben, in denen be_hinderte Menschen aufgrund anderer Ausschlussmechanismen nicht so oft sind.
Aktionsorganisation und Veranstaltungsplanung
Wer organisiert eine Aktion, eine Demonstration oder ein Klimacamp? Oft sind in den Organisationsteams kaum be_hinderte Menschen. Das hat Auswirkungen auf die jeweiligen Veranstaltungen. Oft werden viele Barrieren und deren Abbau nicht mitgedacht.
Bedürfnisse während Veranstaltungen/Aktionen
Bedürfnisse können stark variieren. Die einen brauchen vielleicht Gebärdedolmetscher_innen und viele Handzeichen innerhalb ihrer Gruppe in der Demo, damit sie mitbekommen, was los ist. Andere brauchen Ruhe und wenig Reize, um nicht überfordert zu werden. Einige brauchen Rampen und Haltegriffe in den Sanitäranlagen. Manche brauchen die Möglichkeit, sich zwischendurch zu setzen/hinzulegen oder eine Auszeit zu nehmen. Ein Bedürfnis kann auch einfach sein, keinen Zigarettenrauch einzuatmen oder keinen Alkohol wahrzunehmen. Für manche kann es wichtig sein, dass es Triggerwarnungen/Inhaltswarnungen gibt, um mit Traumata umzugehen. Für viele ist es gar nicht möglich, bei Aktionen mitzumachen, wo viel Polizeipräsenz ist. Bedürfnisse gibt es sehr viele, sie können sehr unterschiedlich sein und sich teilweise sogar widersprechen. Es ist nicht immer möglich, allen Bedürfnissen zu entsprechen. Es kann deshalb sinnvoll sein, sie mehr zu thematisieren, Offenheit zu signalisieren und Bedürfnisse im Vorfeld abzufragen. Außerdem ist es sinnvoll, nicht den Anspruch zu haben, dass es möglich ist bei einer Veranstaltung/ Aktionsform alle Bedürfnisse abzudecken. Stattdessen wäre es schön, viele verschiedene Arten von Veranstaltungen zu haben, sodass alle Menschen dorthin gehen können, wo sie sich wohlfühlen.
Wertschätzung verschiedener Formen von Aktivismus
Abhängig von Kapazitäten und Expertise machen Menschen verschiedene Formen von Aktivismus. Dabei spielen auch Privilegien eine große Rolle. Je mehr Privilegien eine Person hat, desto mehr Möglichkeiten hat die Person aktiv zu sein. So kann es für manche Personen vielleicht nur möglich sein, Aktivismus zu machen, wenn sie dafür bezahlt werden. Manche Menschen können es sich nicht leisten, Probleme mit der Polizei zu bekommen. Für manche kann ein aktivistischer Kontext, der weiß dominiert ist, kein Ort sein, an dem sie sich sicher fühlen. Im Klimaaktivismus gibt es oft ein Narrativ, in dem der Aktivismus, der in die direkte Auseinandersetzung geht, bei dem Infrastruktur besetzt oder auf Bäume geklettert wird, besonders geschätzt wird. Der Aktivismus, der in den sozialen Medien stattfindet, bei dem Unterstützungsarbeit geleistet wird, in dem Selfcare stattfindet, bekommt oft weniger Aufmerksamkeit.
Das ist so ziemlich die Definition von Ableismus: einige Fähigkeiten werden als wichtiger gewertet als andere. Dabei geht es in erster Linie um eine kapitalistische Verwertung – die Fähigkeiten, die dabei helfen, Profit zu machen, werden als besonders wertvoll gesehen. Die Fähigkeiten, die kapitalistisch eher schlecht verwertbar (wenn auch für unsere Gesellschaft trotzdem nötig sind), werden nicht geschätzt. Be_hinderte Menschen werden oft daran gehindert, ihre Fähigkeiten zu nutzen, und in dem ableistischen System zusammen mit ihren Fähigkeiten abgewertet und diskriminiert.
Nun will ich nicht behaupten, dass Klimaaktivismus das gleiche ist wie Kapitalismus. Aber es zeigt sich natürlich, dass wir alle von unserer Gesellschaft geprägt sind und dieses ableistische System stark verinnerlicht haben. Deshalb sollte beim Klimaaktivismus nicht nur das Ziel von dem Ende fossiler Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas und ein möglichst effizienter Weg dorthin im Mittelpunkt stehen, sondern auch die gerechte Gesellschaft, die wir aufbauen wollen. Diese Idee ist auch Teil von dem Konzept Klimagerechtigkeit.
Weiter Informieren
Einer der ersten Schritte zur Verbündetenschaft ist das „Sich selbst Informieren“. Tipps dazu findet ihr in unserer Mediathek unter https://www.bundjugend.de/anti-ableismus-weiter-informieren/
Ein Beitrag von Freddie von Locals United
[1] https://raul.de/kolumnen/heisse-debatten-der-klimawandel-bedroht-besonders-behinderte-und-alte/
[3] https://www.spektrum.de/news/immer-mehr-hitzetote-in-deutschland/1803545