Aus einem Gurkenglas Hafer-Latte zu trinken ist kein Aktivismus.

Hallo, ich bin Pavka und bevor  ich mit dem Erzählen einer wahren Geschichte beginne, erzähle ich noch etwas über mich. Ich bin Migrant*in, habe vor einigen Jahren Umweltwissenschaften studiert und arbeite weiterhin im Einzelhandel in einem luxuriösen  Kaufhaus. Eines Tages hatte ich einen Kunden, der eine teure Kaffeetasse kaufte. Die Tasse wurde im globalen Süden produziert und ich nahm an, dass die Produktionskosten um ein Vielfaches niedriger waren als der Verkaufspreis.

Weil es sich dabei um ein teures Produkt handelte, wollte ich sicherstellen, dass es sicher transportiert wird. Daher wickelte ich es in mehrere Lagen von Papier ein. Als ich dies tat, sah mich der Kunde an und sagte: „Vielleicht sollten Sie es mit weniger Papier einpacken, denken Sie an die Umwelt!“. Diese Aussage verärgerte mich sehr , nicht weil der Kunde sich um meinen Papierverbrauch sorgte, sondern weil es ihm egal war, dass er ein Produkt von einem großen Konzern kaufte, der auf Kosten der Umwelt produziert. Diese Erfahrung zeigte mir sehr deutlich, wie für einige privilegierte Menschen im globalen Norden die Klimabewegung oder sowas wie Nachhaltigkeit nur  eine Verschleierung von Klassismus sein kann.

Vor einigen Wochen nahm ich an einem Workshop mit dem Titel „Klima, Gerechtigkeit und Klassengesellschaft“ teil, der von Sarah-Lee Heinrich, Aktivistin für soziale Gerechtigkeit und Beisitzerin im Bundesvorstand der Grünen Jugend, geleitet wurde. Der Workshop war Teil des Projekts „Diskriminierungssensible BUNDJugend“.

Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Kritik an der Klimabewegung im globalen Norden, die die Realitäten von Menschen in prekären Lebensverhältnissen und  generationale Armut  nicht ausreichend in den Blick nimmt und stattdessen den Fokus auf „Konsumkritik“ legt.

Im Workshop diskutierten wir einen Text von Katharina Hartmann (Weltrettung im Supermarkt, 2018). Aus diesem Text blieb mir ein Gedanke besonders im Gedächtnis: Theoretisch würde jeder gerne faire und nachhaltig produzierte Waren kaufen und konsumieren, aber nicht jeder kann es sich leisten. Die Konsumkritik richtet sich in diesem Zusammenhang gegen den Kauf von Gütern, die nicht nachhaltig produziert werden oder die zur Verschärfung der Auswirkungen des Klimawandels und der Ausbeutung von Arbeitskräften beitragen. Sie unterteilt den individuellen Konsum in eine Binarität von ethischen und unethischen Entscheidungen. Ethische Waren sind oft teurer, was sie eher für Menschen mit höherem Einkommen erschwinglich macht.

Was ich aus diesem Workshop mitgenommen habe, ist, dass man sich im Streben nach intersektionaler Klimagerechtigkeit auch innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegung kritisch mit Klassismus auseinandersetzen muss. 

Per Definition ist Klassismus eine Diskriminierung aufgrund von Wohlstand und sozialer Herkunft.

 In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass der globale Reichtum meist einem sehr kleinen Teil der Gesellschaft gehört. Darüber hinaus ist es der reichste Teil der Gesellschaft, der seine Profite maximiert und gleichzeitig für die größten CO₂-Emissionen und die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und Arbeitskräfte, meist aus dem globalen Süden, verantwortlich ist. Gleichzeitig ist aber der ärmste Teil der Gesellschaft meist derjenige, der am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen ist. Es besteht eine Diskrepanz zwischen denjenigen, die für den Klimawandel verantwortlich sind, und denjenigen, die am meisten von ihm betroffen sind. Diese disproportionale Machtdynamik kann als Fortsetzung des Kolonialismus gesehen werden. Während der Kolonialzeit nutzten Länder, meist aus dem globalen Norden, Macht und Kontrolle über Länder des globalen Südens, um deren natürliche Ressourcen und Arbeitskraft auszubeuten.  Mit anderen Worten: Soziale Fragen und Klimafragen haben viele Gemeinsamkeiten. 

Die Art und Weise, wie die Klimabewegung wahrgenommen wird, wird stark davon beeinflusst, welche und wie viele Informationen wir zu diesem Thema haben. Wenn Klimaaktivismus erwähnt wird und dies fast immer im Kontext von Konsumkritik geschieht, ist es auch verständlich, dass sich Menschen mit geringerem Einkommen teilweise ausgeschlossen fühlen. 

Der Klassismus hat die Klimabewegung zu einer „Marktnische“ gemacht, die sich an die Reichen richtet. In Berlin zum Beispiel befinden sich Bioläden meist in reicheren Vierteln.   

Aus all diesen Gründen kann sich die Klimabewegung im globalen Norden von den Lebensrealitäten der Menschen in prekären Lebenssituationen abgekoppelt fühlen. Einige wichtige Fragen, die im Text von Katharina Hartmann angesprochen werden: Warum sind bio und ethisch produzierte Waren nicht bereits Standard? Warum gibt es keine internationalen Gesetze, die das regeln? Warum müssen wir uns zwischen fairen Produkten und Produkten, die durch Ausbeutung von Ressourcen und menschlicher Arbeit hergestellt wurden, entscheiden? Warum reden wir über Konsumkritik, aber nicht über Anti-Konsumismus? 

Das sind die Fragen, die wir eigentlich stellen sollten, um zu versuchen, innerhalb der Klimabewegung etwas zu verändern. Konsumkritik ist nicht unwichtig, aber sicher nicht der effizienteste Weg, den Klimawandel anzugehen, außerdem schafft sie Raum für Exklusivität und Klassismus innerhalb der Klimabewegung. 

Sie verschiebt die Verantwortung und den Fokus weg von denjenigen, die für den größten Beitrag zum Klimawandel besonders verantwortlich sind.  Es reicht nicht aus, unsere Konsumgewohnheiten zu ändern, um den Klimawandel zu bekämpfen. Um Veränderungen herbeizuführen, müssen wir sicherstellen, dass die Klimabewegung inklusiv ist und dass alle Menschen Zugang zu Informationen haben.

Ein Beitrag von Pavka von Locals United


Quellen

https://www.merriam-webster.com/dictionary/classism

https://www.oxfam.de

credit-suisse

„Weltrettung im Supermarkt- Wie etischer Konsum ein unethisches System stützt“

The Guardian: „Half of world’s wealth now in hands of 1% of population – report“

Fridays for Future: „Zukunftsdenken“ ist ein Privileg

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